Mittwoch, 30. Juli 2008

Pickelhering wird befragt

TATA trifft TINA

Statt eines Prologes:

"Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. (...) Ich bin nicht mit der Idee zum Theater gegangen, Hamlet zu spielen, sondern mit der Ansicht, ein Clown zu sein, ein Hanswurst." (Dario Fo)

"Wir stecken bis zum Hals im Kapitalismus." (Heiner Müller)
Erster und einziger Akt: Pickelhering wird befragt

Vorhang auf. Ein Skribent marschiert flott auf die Bühne. Er hält einen PDA in der Rechten, dessen Display einen Steckbrief mit dem Konterfei der lustigen Person anzeigt. Er schaut sich um und tritt unaufgefordert an die lustige Person im Proszenium des Blogs heran.

Skribent
(steckt den PDA ein): Herr Pickelhering. Guten Tag. Sie sind es doch? Hätten sie einen Augenblick Zeit für ein Gespräch! (hat bereits ein Mikrofon gezückt)

Pickelhering (den wir – ganz im modernen Stil – PH [sprich: Pi Äitsch] nennen): Ein ernstes? Das ist nicht dein Ernst? (rhetorische Fragen) Für wen schreibst du? (heuchelt Interesse)

Skribent: Für eine renommierte Tageszeitung, die...

PH
(schlägt die Hände über dem Kopf zusammen): Immerdar owe!

Skribent: Bitte?

PH: Selbst schuld, meine ich.

Skriben
t (unbeirrt): Sie machen seit dem 17. Jahrhundert unter dem Namen Pickelhering von sich reden. Unter anderen Pseudonymen schon seit mehr als 800 Jahren. Dürfen wir ihr wahres Alter erfahren?

PH (abseits sprechend, belustigt): Redet der im Pluralis majestatis? Soll ich knien vor der Vierten Macht? (wendet sich zum Skribenten, spricht in gespielt ernstem Tonfall) Nach dem Alter fragt man eine Dame nicht.

Skribent:
Aber sie sind doch ein Mann!

PH:
Eben drum.

Skribent
(verwirrt): Beschwerden, Anzeigen, Steckbriefe füllen Bibliotheken und Archive. Die Gerichte sind überlastet. Generationen von Kriminalkbeamten verzweifelten, Staatsanwälte müssen nach einer Begegnung mit ihnen nicht selten psychologisch betreut werden. Gefallen sie sich als Plagegeist?

PH: Ich mache kein Theater, ich habe Segen von höchster Stelle. Schwarz auf Weiß (zeigt ein Buch her, schlägt es auf, deutet dem Skribenten, eine Stelle zu lesen).

Skribent deklamiert:
Gott: Du darfst auch da nur frei erscheinen;
Ich habe deinesgleichen nie gehasst.
Von allen Geistern, die verneinen,
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Skribent: Das ist doch Blasphemie!

PH:
Nein, ein Bestseller.

Skribent:
Sie geben an. Der Verfasser hat doch nicht SIE damit gemeint!

PH:
Doch immerhin ein Mitglied der Familie. Wenn auch das schwarze Schaf im Wolfspelz. Nenn' viele Namen: Pickelhering, Hanswurst, Arlechino, Narr, Schelm oder Schalk. Wir alle sind Geister, die verneinen. Wer einen von uns ruft, wird ihn so schnell nicht wieder los. Mit roher Gewalt geht allerdings viel.

Skribent
(empört): Niemand, niemand ruft nach ihnen!

PH (grinst): Und ob!

Skribent:
Wer denn, verflucht noch 'mal?

PH: Nun wirst du "blasphemisch".

PH singt, tanzt dazu:
Bonzen und Fabrikanten,
Banker und Spekulanten,
Waffenschieber und Generäle,
Solche sind's, die ich quäle.

Auch Kanzlern, Abgeordneten und Majestäten,
Fahr ich respektlos zwischen die Gräten.
Ihr fauler Zauber ruft mich aufs Tapet,
In illustere Runde, als Ratsherr in spe.

Wer mich schickt, hat ihre Knute gespürt,
Wurde zehnfach an der Nase herumgeführt
Hat Job, Heim, einen Lieben verloren,
Und mich zum Rächer mit Schellen erkoren.

Ich verlache, was andere beweinen,
Denn wer Humor hat, der fürchtet keinen.
Wer meinen Spott hat, der hat für Schaden gesorgt.
Von meinem Lachen hab' ich so manchem geborgt.
Dass die Großen dran ersticken,
Hilft den Kleinen, sie zur Hölle zu schicken.
Skribent (gefasst): Sie sind theatralisch und eine Gefahr.

PH (ernst): Ich steh im Leben, ganz und gar. Hier im Blog ist alles sinnlich, dass es ins Auge fällt.

Skribent: So, wie sie es darstellen, ist die Welt nicht.

PH (ärgerlich): Lies' deine Zeitung gründlicher.

Skribent
(winkt ab): Wir haben diesen und keinen anderen Globus.

PH (merkt auf): Das also ist des Pudels Kern. Ein Fan von TINA.

Skribent:
Wer?

PH (geduldig): Nicht wer – was! There Is No Alternative – T.I.N.A. Der Horizont eines Marktschreiers reicht freilich nicht über den Markt hinaus. Meinesgleichen hingegen kann sich den Luxus der Borniertheit nicht leisten. Wir müssen mit Pauken und Trompeten, mit TATA. auftreten.

Skribent
(verwirrt): Tatta?

PH (bleibt geduldig): T.A.T.A. – There Are Thousand Alternatives.

Skribent (hält PH das Mikro dicht vor's Gesicht): Sind sie etwa Sozialist?

PH (nicht ausweichend; macht mit einer Hand eine rasche, für den Skribenten nicht sichtbare, aber vom Publikum bemerkte Bewegung; Zingzingzing – ein metallisches Geräusch): Sag' mal, Alter, führst du Interviews immer auf diese spezielle Art?

Skribent:
Auf welche?

PH (schaut am Skribenten herab, heiter): Na, mit heruntergelassener Hose.

Skribent
(folgt dem Blick, wird rot): Oje mine!! (bedeckt seine Blöße vorne mit beiden Händen, sein Aufnahmegerät fällt zu Boden und geht in Stücke)

Skribent: Ach, Herrjemine!!! (flüchtet durch den Zuschauerraum zum Ausgang)

Pickelhering singt: (eine große Schere in der Hand, viele andere an's Publikum verteilend):
Das ist hin, und das ist her,
Und das ist ne Schneiderscher.
Hin und her, Schneiderscher.
Publikum, Pickelhering gemeinsam: (öffnen und schließen ihre Scheren: Zingzingzing Zingzingzing)
Das ist hin, und das ist her,
Und das ist ne Schneiderscher.
Hin und her, Schneiderscher.
(Zingzingzing, Zingzingzing)
Großer Herr macht nicht viel her,
Greifen wir zur Schneiderscher,
Nicht viel her, nimmermehr.
Da die Sache kein Nachspiel hat: Tröten erklingen, Pickelhering schlägt ein Rad, geht ab. Vorhang.

Update: