Mittwoch, 23. Dezember 2009

Streik bei Wohlthat'scher: »Wir lassen uns nicht verramschen«



Der deutsche Buchhandelskonzern DBH hat einem Viertel der Belegschaft der Wohlthat'schen Buchhandlung gekündigt. In Berlin und Potsdam leisten die Kolleginnen und Kollegen Widerstand. Pickelhering berichtet
Verlockend erscheinen die knallgelben Plakate im Schaufenster der Wohlthat'schen Buchhandlung am Berliner Alexanderplatz: »Alles muss raus« steht dort in großer Schrift. Ein guter Roman oder schöner Bildband zum halben Preis – wer käme da nicht in Versuchung, kurz vor Weihnachten. Doch das ist nicht gemeint.

Denn an diesem zweiten Adventssamstag hat die Buchhandlung geschlossen. Hier und in anderen Berliner und Potsdamer Filialen kämpfen die Belegschaften um ihre Arbeitsplätze. »Alles muss raus« - damit sind die Beschäftigten der Wohlthat'schen gemeint. »Ilona« , »Merle« , »Boris« , »Felix« , »Uwe« , »Philip« sind die Namen der Betroffenen, die auf kleinen Zetteln am Schaufenster der bestreikten Filiale kleben.

Filialschließungen und Personalabbau

Deren Muttergesellschaft DBH, die zweitgrößte Buchhandelskette in Deutschland, hat den Rotstift angesetzt. Mit Filialschließungen und Personalabbau soll der Konzern umstrukturiert werden. Das trifft auch andere Tochterunternehmen wie Hugendubel und Buch Habel. Die DBH gehört je zur Hälfte der Familie Hugendubel und der Verlagsgruppe Weltbild.

In den letzten Monaten hat der Konzern einem Viertel der Belegschaft bei der Wohlthat'schen gekündigt, andere Beschäftigte mussten in Teilzeit gehen. Doch in Berlin und Potsdam wehren sich die Betroffenen mit Streik, der von ver.di unterstützt wird.

Kein Kinderspiel

»Wir lassen uns nicht verramschen« steht auf den T-Shirts einer Gruppe junger Streikaktivisten, die mit einer Straßenaktion vor der Filiale am Alexanderplatz auf die Lage bei Wohlthat aufmerksam macht. Sie laufen zu schneller Musik um einen Kreis Stühle herum. Das wirkt lustig. Bis die Musik plötzlich stoppt. Dann versucht jeder, einen freien Stuhl zu ergattern. Doch für einen ist kein Platz. Der scheidet aus. Vor der nächsten Runde wird ein Stuhl entfernt und die Verbliebenen müssen erneut um einen freien (Arbeits-)Platz kämpfen.

Was unter den Namen »Reise nach Rom« , »Reise nach Jerusalem« oder »Stuhltanz« als erheiterndes Kinderspiel bekannt ist, wird hier zu bitterem Ernst. Das wird auch den Kunden und Passanten klar. Viele unterschreiben Postkarten, auf denen sie ihre Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen bekunden.

Kunden sollen Laden beaufsichtigen

Das neue »Geschäftsmodell« der DBH sieht auch erhebliche Belastungen für die verbleibenden Beschäftigten vor. So soll über größere Zeitabschnitte nur ein Angestellter je Filiale eingesetzt werden. »Nach Aussage der Geschäftsführung sollen sie bei Pausen oder Toilettengang einen vertrauensvollen Kunden suchen, der in dieser Zeit den Laden beaufsichtigt«, berichtet ver.di.

»Service wird wohl künftig bei Wohlthat nicht mehr geboten« , teilte die zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretärin Janet Dumann mit. »Stattdessen lässt man verbleibendes Personal unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten und bezahlt gelernte Buchhändler und auch Aushilfen deutlich unter Tarif« , so Dumann weiter.

Buchhändler als Billiglöhner

Wie weit das Lohndumping geht, macht ein Plakat klar, dass auf der verschlossenen Tür der Filiale am Alexanderplatz prangt: »Stundenlohn früher: 12 Euro – Stundenlohn jetzt: 6,50 Euro« .
Ver.di fordert, die geltenden Einzelhandelstarifverträge auch für Wohlthat'sche zu übernehmen. Daneben soll ein Sozialtarifvertrag »soziale Härten des Personalabbaus« abzufedern, teilte ver.di in einem Informationsflugblatt mit.

Bisher hatten die Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Geschäftsleitung in Berlin und Brandenburg kein Ergebnis. Ver.di vermutet, dass die Geschäftsleitung versucht, die Gewerkschaft hinzuhalten.

Deshalb ist es auch nicht bei der Streik- Aktion am 12. Dezember geblieben. Am vergangenen Wochenende standen die Kolleginnen und Kollegen wieder auf der Straße. Frühestens am 10. Januar will die Geschäftsleitung weiter verhandeln.

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