Donnerstag, 22. Oktober 2009
Sarrazins Sündenbockpolitik
Thilo Sarrazins gegen Migranten gerichtete Äußerungen sind auch Ausdruck einer Politik, die sozialen Widerstand spalten soll. Davon profitieren Konzerne, Reiche und Rechtsextremisten. Proteste sind deshalb berechtigt und nötig, meint Pickelhering.
Gegen die diskriminierenden Behauptungen des Vorstandmitgliedes der Deutschen Bundesbank Sarrazin (SPD) protestierten am Montag rund 100 Teilnehmer vor der SPD-Zentrale in Berlin. Anlass war ein Interview in der Zeitschrift »lettre international«, in dem der ehemalige Finanzsenator von Berlin rassistische Vorurteile gegen Migranten verbreitete.
Sarrazin sagte unter anderem, dass Türken und Araber außer Obst- und Gemüsehandel keine produktive Bedeutung hätten, Deutschland mit einer hohen Geburtenrate erobern würden, Bildung keinerlei Bedeutung zumessen würden und integrationsunfähig seien. Der innenpolitische Sprecher der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag schlug daraufhin vor, "Thilo Sarrazin trotz seines SPD-Parteibuches zum Ausländerbeauftragten" zu machen.
Organisiert hat den Protest der Verein Allmende, ein Zusammenschluss von Migranten und Flüchtlingen. Allmende kritisiert, dass Sarrazin noch immer Vorstandmitglied der Bundesbank ist und ein SPD-Parteibuch besitzt. "Institutionen, die sich als demokratisch und antifaschistisch bezeichnen, müssen rassistisch denkende Menschen ausschließen", fordert der Verein.
Die Kritik ist berechtigt. Dabei geht es nicht nur um die verbalen Attacken eines Einzelnen. Sarrazin steht für eine Politik, die sich gegen die ärmsten Teile der Bevölkerung richtet. Durchgesetzt wurde sie von Rot-Grün und Schwarz-Rot. Die jetzige Regierung aus Union und FDP will sie fortsetzen.
Zynische »Tipps« für Arbeitslose
Sarrazins Kommentar ist keine einmalige Entgleisung. In der Vergangenheit hat der SPD-Politiker wiederholt durch diskriminierende Bemerkungen Schlagzeilen gemacht, zum Beispiel über Arbeitslose. Ihnen warf er wiederholt vor, verschwenderisch mit Geld umzugehen.
Im vergangenen Jahr behauptete er zum Beispiel, dass sich Erwerbslose schon für 3,76 Euro pro Tag "völlig gesund, wertstoffreich und vollständig ernähren" könnten. Er hatte einen Speiseplan für Hartz-IV-Empfänger erstellen lassen, mit dem er seine Behauptung untermauern wollte. Dieser wurde von der "Berliner Morgenpost" getestet und als ungesund und einseitig verworfen.
Armen Menschen gab er einen ähnlich zynischen Tipp, um Heizkosten zu sparen: "Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können", sagte er.
Guter Polizist, böser Polizist
Dabei zielt Sarrazin stets darauf ab, die Verantwortung der Politik für Armut und andere Probleme auf betroffene Gruppen in der Bevölkerung abzuwälzen.
Als Finanzsenator von Berlin setzte er die Linie des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) um, dass gespart werden müsse, "bis es quietscht". Das damalige Wechselspiel zwischen den beiden erinnert an die Verhörmethode "Guter Polizist, böser Polizist". Sarrazin gab den »Bösen« und forderte, bewusst provokant, harte Kürzungen im sozialen Bereich. Das ermöglichte es Wowereit, in die Rolle des »Guten« zu schlüpfen, der den Finanzsenator bremst und "weniger harte" Einschnitte vornimmt.
Ziel einer solchen Politik ist allerdings nicht nur das Ablenken von der Verantwortung der Politik durch das Präsentieren von Sündenböcken. Auch der Widerstand gegen Sozialabbau und Rassismus soll auf diese Weise nach dem Motto »Teile und herrsche« gespalten werden.
Profiteure solcher Diskriminierung sind Konzerne, Reiche und Rechtsextremisten. Letztere können Sarrazins Ausfälle nutzen, um ihren Rassismus zu rechtfertigen.
Statt Armut werden Arme bekämpft
Dass die SPD Sarrazin bisher nicht vor die Tür gesetzt hat, sagt etwas aus über den Zustand der Partei und die Denkweise ihres führenden Personals. Statt Armut werden Arme bekämpft. Auch nach der Bundestagswahl ist die Führung der SPD nicht bereit, sich von dieser Politik zu verabschieden. Das sollte der zentrale Punkt sein, wenn über rot-rote Koalitionen geredet wird.