Mittwoch, 28. Oktober 2009

Friedensbewegung verstärkt Proteste gegen Besatzung in Afghanistan



Tausende sind am Wochenende in London auf die Straße gegangen. Sie verlangten ein Ende des Afghanistankrieges und den Abzug der britischen Truppen. Auch in Deutschland steht die Friedensbewegung in den Startlöchern: Proteste gegen den Bundeswehreinsatz sind für November geplant. Pickelhering über die internationale Vernetzung der Aktivisten
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An der Spitze der Großdemonstration in London, an der nach Angaben der Veranstalter 10.000 teilnahmen, marschierte der aktive Soldat Joe Glenton. Ihm droht ein Prozess vor einem Militärgericht, weil er sich weigert, weiter in Afghanistan zu kämpfen. »Es ist nicht leicht, Befehle zu verweigern. Aber wenn Großbritannien den USA darin folgt, weiterhin Krieg gegen eines der ärmsten Länder der Welt zu führen, dann habe ich keinen andere Wahl«, sagte er in einer Rede.

Soldatenfamilien gegen den Krieg

Neben Joe Glenton wurde der Protestmarsch von Ex-Soldaten und Angehörigen von Soldaten angeführt. Darunter Peter Brierley, dessen Sohn im Irak getötet worden ist. Brierley ist bekannt geworden, weil er sich weigerte, dem britischen Ex-Regierungschef Tony Blair auf einer Gedenkveranstaltung zu Ehren im Irak »gefallener« Soldaten die Hand zu schütteln. An Blairs Händen klebe Blut und dieser sei ein Kriegsverbrecher, begründete Brierley seine Weigerung.

Der Labour-Abgeordnete Jeremy Corbyn erklärte auf der Demonstration: »Die NATO ist nun seit acht Jahren in Afghanistan und die Ergebnisse dieser Anwesenheit sind eine gestiegene Drogenproduktion, hohe Korruption und viele Tote auf allen Seiten.« Es sei Zeit, so Corbyn, die Truppen abzuziehen, um eine weitere Vietnamisierung der Verhältnisse in Afghanistan zu verhindern.

Nach einer am Tag der Demonstration veröffentlichten Umfrage meinen 48 Prozent der Briten, dass der Kampf gegen die Taliban nicht zu gewinnen ist. 62 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, die britischen Truppen innerhalb eines Jahres abzuziehen.

Aufstockung der Besatzungstruppen

Trotz des wachsenden Widerstandes in der britischen Bevölkerung erklärte Mitte des Monats Premierminister Gordon Brown, dass bis zu 500 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan entsenden. werden. Bedingung sei, dass auch die Alliierten aufstocken.

Auch in Warschau protestierten am Samstag mehrere hundert Menschen für einen Truppenabzug. Am Wochenende hatte der der neue US-Botschafter polnischen Regierungsvertretern dafür gedankt, dass sie die Zahl der Soldaten in Afghanistan erhöhen wollen. Im Gegensatz dazu hatte die polnische Regierung am Freitag erklärt, dass es keinen Beschluss für eine Aufstockung der Truppen gebe.

US-Präsident Obama hat bereits eine Erhöhung der Zahl der US-Soldaten autorisiert. Laut »Washington Post« sollen über die im Frühjahr angekündigte Aufstockung um 21.000 Soldaten hinaus weitere 13.000 nach Afghanistan geschickt werden. Darüber habe Obama die Öffentlichkeit allerdings nicht informiert, so die Zeitung.

Obama weitet Blutvergießen nach Pakistan aus

Auf Druck der US-Regierung führt seit dem 17. Oktober das pakistanische Militär eine Großoffensive in der Süd-Waziristan durch. In der Vergangenheit haben die mit Militäroffensiven in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion verbundenen Bombardierungen und Zerstörungen nur weiteren Hass geschürt. Dieser hat den gegen die Besatzung kämpfenden Milizen die Rekrutierung weiterer Kämpfer ermöglicht. Bisher haben solche blutigen Offensiven stets in einer Stärkung des Widerstandes geendet, der zudem die von ihm kontrollierten Gebiete ausweiten konnte.

Für das weitere Vorgehen in Afghanistan hat das Pentagon zwei »Szenarien« getestet, berichtete die »Washington Post« am Montag. Beide sehen eine Ausweitung der Kämpfe vor. Mehr Blutvergießen wird allerdings die Lage der Afghanen weiter verschlechtern und den Hass auf die Besatzer und ihre korrupte Marionettenregierung verstärken.

Es ist bereits abzusehen, dass auch die Stichwahl zwischen dem amtierenden afghanischen Präsidenten Hamid Karsai und seinem Herausforderer Abdullah Abdullah mit Betrug und Fälschungen ablaufen wird.

Abdullah hat zudem keinerlei Alternative anzubieten. Kürzlich forderte er, mehr Besatzungstruppen zu stationieren. Er war zwischen 2001 und 2006 Außenminister unter
Karsai und gehört zur Führung des tadschikischen Teil der ehemaligen Nordallianz, die den Taliban an Brutalität ebenbürtig sind. Die Mitstreiter, mit denen er sich umgibt, sind ebenso korrupt wie Karsais Gefolgsleute.

Internationales Treffen von Friedensaktivisten

Joseph Gerson

In Berlin trafen sich bereits am 17. und 18. Oktober Vertreterinnen und Vertreter von Friedensinitiativen aus mehr als einem Dutzend Ländern, um auf der Aktionskonferenz »Nein zur NATO - Nein zum Krieg« auch über gemeinsame Aktivitäten gegen die Besatzung Afghanistans zu sprechen.

Auf einer öffentlichen Veranstaltung einen Tag vor der Konferenz berichteten eine Vertreterin aus Frankreich und je ein Vertreter aus den USA und aus Großbritannien über die Anti-Kriegsbewegung in ihren Ländern.

Joseph Gerson, Friedensaktivist aus den USA, kritisierte die Vergabe des Friedensnobelpreises an US-Präsident Obama. Er wies mit einer spitzen Bemerkung darauf hin, dass auch »Henry Kissinger diesen Preis erhalten hat.« Kissinger war von 1969 bis 1973 Nationaler Sicherheitsberater der Vereinigten Staaten und von 1973 bis 1977 US-Außenminister. Er ist damit mitverantwortlich für den US-Krieg in Vietnam. Die damalige Ausweitung des Krieges auf die Nachbarländer Laos und Kambodscha hat er initiiert. Gerson warf Obama vor, eine Ausweitung des Afghanistan-Krieges auf Pakistan zu betreiben.

Noch vor eineinhalb Jahren sei in der US-amerikanischen Öffentlichkeit kaum über den Afghanistan-Einsatz diskutiert worden, sagte Gerson. Das habe sich geändert. Derzeit
organisiere die US-Friedensbewegung Aktionen und Kampagnen gegen die Besatzung. Als Unterstützung für die Proteste in den USA sei die Opposition in Europa gegen den Krieg wichtig, betonte er.

Macht und Kontrolle von Ressourcen

Gerson wies darauf hin, dass die US-Armee nicht wegen Demokratie oder Frauenrechten in Afghanistan sei. Der Bush-Administration sei es darum gegangen, durch den Angriff auf das Land am Hindukusch zu zeigen, dass die Vereinigten Staaten weiterhin in jeder Hinsicht die Weltmacht Nr.1 seien.

Außerdem sollte auch aus dem Niedergang der UdSSR nach 1989 Vorteil gezogen werden. Dabei ging es um eine US-Präsenz in der ressourcenreichen Region Zentralasien. Der Krieg gegen Afghanistan habe die Möglichkeit geboten, einen Fuß in die Tür zu bekommen.

»NATO eskaliert«

John Rees aus Großbritannien gratulierte als Erstes der Partei DIE LINKE zu ihrem Wahlerfolg: »Es macht einen großen Unterschied, ob man in ein Land kommt, in dem überall Plakate gegen den Krieg hingen«, sagte er. Gemeint waren Wahlplakate mit der Aufschrift »Raus aus Afghanistan«, mit denen DIE LINKE ihre Forderung nach einem sofortigen Abzug der Bundeswehr unterstrichen hat.

Rees argumentierte, dass sich die NATO eine Niederlage in Afghanistan nicht leisten könne und deshalb an der Besatzung festhalten werde. Das führe zu »mehr Blutvergießen und mehr Mord«. Deswegen müssen »wir den Krieg auf unsere Weise beenden, um zu verhindern, dass er von den Besatzern auf ihre blutige Weise eskaliert wird«, sagte er.

Wer nach einem Abzug der Besatzungstruppen eine Talibanherrschaft befürchte, dem entgegnete der britische Friedensaktivist: »Die einzigen, die mit den Taliban fertig werden können, sind die Afghanen selbst«. Die Taliban würden mit jedem Tag, den die Besatzung andauere, mehr Zulauf erhalten.

Gute Chancen für die Friedensbewegung

Arielle Denis aus Frankreich machte ebenfalls darauf aufmerksam, dass sich die Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes in ihrem Land vergrößere. Doch der Protest müsse sichtbarer werden. Aufgabe der Friedensbewegungen sei es, einerseits noch mehr aufzuklären, dass in Afghanistan ein blutiger Krieg geführt werde.

Andererseits wären noch mehr Anstrengungen nötig, damit der Protest auf die Straße getragen werde. Genau darüber zu diskutieren und Ideen auszutauschen sei ein wichtiges Anliegen der Internationalen Aktionskonferenz. Die Chancen für die Friedensbewegung stünden sehr gut, sagte Denis.

Kommende Proteste in Deutschland

In Deutschland hat sich die Friedensbewegung darauf verständigt, vom 20. bis 27. November eine Aktionswoche gegen eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan durchzuführen. Über eine Verlängerung stimmt der Bundestag vermutlich Mitte Dezember ab. Die Friedensbewegung befürchtet, dass auch eine Aufstockung der deutschen Truppen anstehen könnte. Derzeit sind knapp 4000 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.

Kern der bundesweiten Aktionswoche gegen den Krieg sollen möglichst viele Informationsstände sein, an denen die Bevölkerung über den Bundeswehreinsatz an »Wahlurnen« abstimmen kann. Das Ergebnis soll am Vorabend der Bundestagsabstimmung bekannt gegeben werden.

(Quelle: Den Artikel hat Pickelhering für das Online-Magazin marx21.de verfasst)