Donnerstag, 1. Oktober 2009

Schwarz-Gelb lässt die Kassen der Atombosse klingeln



Für die großen Energiekonzerne ist die Bundestagswahl Milliarden wert. Der von Union und FDP angekündigte Ausstieg aus dem Atomausstieg brächte ihnen Zusatzerlöse von 8 Milliarden Euro jährlich. In Baden-Württemberg hat die schwarz-gelbe Landesregierung bereits längere Laufzeiten für zwei Kernkraftwerke verkündet. Doch die Anti-Atom-Bewegung steht schon in den Startlöchern und bereitet Proteste vor. Von Pickelhering
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In Baden-Württemberg zahlt sich der Wahlsieg von Schwarz-Gelb für die Atombosse bereits nach kurzer Zeit aus: Die Landesregierung unter Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hat den Atomausstieg für beendet erklärt. Die Kernkraftwerke Neckarwestheim und Philippsburg sollen weiter betrieben werden, sagte gestern die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU).

Zieht Schwarz-Gelb im Bund nach, dann können die Energiekonzerne mit bis zu 8 Milliarden Euro zusätzlichen Einnahmen pro Jahr rechnen, wenn ihre abgeschriebenen Kraftwerke noch 25 Jahre laufen.

Zwölf Milliarden Zusatzerlös für Eon

Analysten der Privatbank Sal. Oppenheim haben laut dem Berliner Tagesspiegel überschlagen, was den Marktführern der Branche eine Laufzeitverlängerung von acht Jahren einbringt: Eon könnte sich über zwölf Milliarden Euro zusätzlicher Einnahmen freuen, RWE immerhin noch über acht Milliarden. „Kein Wunder, dass die Aktienkurse der Energieversorger am Montag in die Höhe schossen“, so die Zeitung.

Als weiteren Wink an die Atomlobby kann verstanden werden, dass Gönner als künftige Bundesumweltministerin im Gespräch ist.

Griff in die Portemonnaies der Verbraucher

Verbraucher und Steuerzahler kommt der Pro-Atom-Kurs von Union und Liberalen teuer zu stehen. Denn sie müssen die steigenden Energiepreise zahlen, die in die Kassen von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW fließen, an deren Marktmacht auch die neue Regierung nicht rütteln will. Alle vier verdienen auch kräftig am nicht minder dreckigen Geschäft mit fossilen Energien.

Die vier großen Energieversorger teilen sich den Markt in Deutschland auf: Sie erzeugen 80 Prozent der Elektrizität, besitzen fast alle Grundlast-Kraftwerke und kontrollieren das Stromnetz. Den von Klimaexperten eindringlich geforderten Umstieg auf erneuerbare Energien blockieren sie hartnäckig.

Mit einem propagandistischen Kniff wollen Kraftwerksbetreiber und Atomlobby der Bevölkerung Laufzeitverlängerungen schmackhaft machen – in dem sie diese als umweltfreundlich verkaufen. So hat EnBW-Chef Hans-Peter Villis schon vor einem Jahr die strategische Linie für eine schwarz-gelbe Koalition entwickelt: Angebliche „wirtschaftliche Vorteile einer Laufzeitverlängerung könnten in die Energieforschung und den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien investiert werden“, sagte er. Vattenfall-Boss Lars Josefsson sekundierte: „darüber kann man reden“.

Milliardenprofite werden als »Umweltschutz« getarnt

Die neue Bundesregierung hat diese Linie übernommen und wird versuchen, einen Deal mit den Konzernen auszuhandeln: Für den längeren Betrieb alter Reaktoren sollen die Konzerne einen Teil ihrer Gewinne abtreten. Damit könnten erneuerbare Energien finanziert werden, behaupten die Atomkraftbefürworter. Ob die Kraftwerksbetreiber tatsächlich zahlen werden bzw. wie viel, ist allerdings noch nicht ausgemacht.

Als Beruhigungspille für eine Öffentlichkeit, die mehrheitlich für den Atomausstieg ist, wird Schwarz-Gelb diese „Argumentation“ auf jeden Fall verwenden. Zu mehr taugt sie auch nicht. Denn laufen AKWs erst einmal länger, geht der hohe Anteil an Atomstrom im Netz zu Lasten der erneuerbaren Energien. Jochen Stay von der Anti-Atom-Kampagne ausgestrahlt.de bezeichnete in einem Interview mit dem ARD-Morgenmagazin den Vorschlag der Kraftwerksbetreiber deshalb als »vergiftetes Angebot«. Denn durch den Deal würde nicht nur der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien verhindert, auch blieben die Gefahren der Kernkraft weiter bestehen.

»Belagere die Koalitionäre«

Selbstbewusst bereitet derzeit die Anti-Atom-Bewegung weitere Proteste für einen Atomausstieg vor, mit denen sie bereits im Wahlkampf Schlagzeilen machte. Über 50.000 haben Anfang September in Berlin für einen sofortigen Ausstieg demonstriert – auf der größten Anti-Atom-Kundgebung seit 23 Jahren. Damit hat sich die Bewegung sichtbar verjüngt und neue Mitstreiter gewonnen.

Seit Anfang der Woche hat die »Ständige Vertretung der Anti-AKW-Bewegung« in Berlin geöffnet. Sie dient als Anlaufpunkt für alle, die an den Protesten mitwirken wollen. Unter dem Motto »Belagere die Koalitionäre« will die Bewegung Druck machen, während Union und FDP ihre Gespräche über die Regierungsbildung führen. Mit Auftaktaktionen am kommenden Montag wird die Belagerungskampagne beginnen. In Berlin ist der Start für 17 Uhr vor der CDU-Parteizentrale angesetzt. Weiter geht es am 10. Oktober mit dem Ausrollen des »längsten Anti-Atom-Transparentes der Welt«. Geplant ist, dass die Aktion vor dem Bundestag stattfindet.

(Quelle: Den Artikel hat Pickelhering für das Online-Magazin marx21.de geschrieben)

Aktion im Internet:

Argumente im Internet:

Pickelherings Lesetipp:

  • Reader: »Atomkraft? Nein danke – Umweltschutz und Marxismus«, 37 Seiten, 1,50 Euro, edition aurora 2009.Bestellen bei: Bestellen per E-Mail an: edition.aurora [at] yahoo.de (Mit Beitragen von Walden Bello, John Bellamy Foster, Yaak Pabst und Pickelhering)