Freitag, 8. Januar 2010

Freiheitsmarsch für Gaza: »Das Großartigste war die Solidarität«



1400 Menschen aus 43 Ländern haben am »Gaza Freedom March« Ende Dezember teilgenommen, um gegen die Blockade des Gaza-Streifens zu protestieren. Marco Görlach war dabei und hat mit Pickelhering über seine Erlebnisse gesprochen.
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Ende Dezember seid ihr in den Nahen Osten gereist, um gegen die Blockade des Gaza-Streifens zu demonstrieren. Warum der weite Weg?

Marco Görlach:
Weil die Lage für die Menschen im Gaza-Streifen dramatisch schlecht ist und wir ein Zeichen setzten wollten. Der 27. Dezember war der 1. Jahrestag des Angriffes Israels
auf Gaza. 1400 Tote, 5500 Verletzte und eine zerstörte Infrastruktur hat der Militärschlag verursacht und zusätzlich zur seit 2007 bestehenden Blockade des Gaza-Streifens eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Nur wenige Hilfsgüter werden nach Gaza gelassen. Es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten und Baumaterial. Die Versorgung mit Trinkwasser funktioniert nur schlecht. Dazu kommen der Mangel an Treibstoff und die permanenten Stromausfälle.

Wir wollten vor Ort öffentlichkeitswirksam ein Zeichen setzen - und den Palästinensern zeigen, dass sie mit internationaler Solidarität rechnen können. Unsere unmittelbare Forderung ist, dass die Blockade gegen Gaza aufgehoben wird und die Grenzen geöffnet werden



Wer hat an dem Friedensmarsch teilgenommen?
Initiiert hat ihn»Code Pink - Frauen für den Frieden« aus den USA. Organisiert hat ihn ein internationales Bündnis aus Friedensaktivisten und Nicht-Regierungsorganisationen.

Wie bist du zu dem Marsch gekommen?
Nahost ist schon lange Schwerpunkt meiner politischen Arbeit. Im März 2009 wollte ich zusammen mit Muslimen aus Deutschland nach Gaza reisen. Aber wir sind am Grenzübergang Rafah gescheitert, weil die ägyptischen Behörden uns die Ausreise nach Gaza verweigert haben. Nachdem ich von dem Marsch gehört hatte, habe ich in dem Internetnetzwerk Facebook die deutsche Gruppe betreut, sowie eine Webseite zur Mobilisierung entworfen.

Dabei hattet ihr enorme Schwierigkeiten zu überwinden...
Ja, denn kurz vor unserer Anreise, die über Ägypten erfolgt ist, hat uns die Regierung des Landes zu verstehen gegeben, dass sie den Marsch verhindern will.

Ist ihr das gelungen?
Nein. Zunächst einmal sind wir wie vorgesehen nach Ägypten gereist. Zwar konnten wir nicht wie geplant nach Gaza einreisen, aber es ist uns trotz aller Repressionen durch die ägyptische Diktatur gelungen, in Kairo zu protestieren. Eigentlich wollten die Behörden verhindern, dass der Gaza Freedom March bekannt wird - vor allem in Ägypten selbst. Denn das Mubarak-Regime steht unter Druck. Weil wir entschlossen weiter gemacht haben, war unser Marsch dann letztlich auf den Titelseiten ägyptischer Zeitungen. Auch international hat die Presse dann berichtet. In Kairo selbst ist es der Polizei nicht gelungen, uns von der Bevölkerung abzuschirmen. Letztlich war der Druck auf das Regime zu groß.

Inwiefern?
In zweierlei Hinsicht. Zwischen 2006 und 2008 hat eine Streikwelle die Diktatur erschüttert - und das wirkt immer noch nach. Zum anderen baut das Regime derzeit eine so genannte »Eiserne Mauer«, um die Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen dicht zu machen. Damit solle der Waffenschmuggel nach Gaza gestoppt werden, heißt es. Aber wegen der Blockade sind die Palästinenser darauf angewiesen, dass zum Überleben notwendige Güter illegal über die Grenze gebracht werden. Genauer gesagt: unter der Grenze - durch Tunnel.

Mit der »Eisernen Mauer« wird diese Versorgung gestoppt werden, was die Lage der Menschen in Gaza weiter verschärfen wird. In der ägyptischen Bevölkerung steht Mubarak auch deshalb in der Kritik. Nach unseren Aktionen, wenn wir etwas eingekauft haben oder essen gegangen sind, dann haben wir gemerkt, welchen Eindruck unser Engagement macht. Leute sind auf uns zugekommen und haben gesagt, dass sie es klasse finden, was wir machen.

Ihr konntet euch frei bewegen?
Nein, das nicht. Nur in kleinen Gruppen. Mehr als 6 Leute durften sich nicht irgendwo versammeln, ohne dass das gleich die Polizei auf den Plan gerufen hat. Aber selbst unter diesen schwierigen Bedingungen haben wir Spontankundgebungen organisiert. Sozusagen flashmobartig, so dass es uns möglich war, das Versammlungsverbot zu umgehen. Von Anfang an hat es uns große Anstrengung und Kreativität gekostet, um ein Scheitern des Marsches zu verhindern. Aber die große Solidarität unter uns, von Seiten der Bevölkerung und der Druck auf das Regime haben dann zum Erfolg geführt.

Wie habt ihr reagiert, als ihr in Kairo angekommen seid und klar war, dass ihr nicht nach Gaza dürft?
Ich selbst bin in der Nacht zum 26. Dezember angekommen. Für den nächsten Tag hatten wir ein großes Treffen aller Teilnehmer des Marsches geplant. Aber das wurde verboten. Wie gesagt, Versammlungen von mehr als 6 Personen waren untersagt. Wir haben dann umdisponiert und sind in kleinen Gruppen nacheinander zu einer zentralen Brücke gezogen. Dort haben wir Blumen abgelegt und Zettel mit Namen der Todesopfer des Angriffes auf Gaza. Polizei-Beamte haben die Zettel immer wieder entfernt, damit die Bevölkerung nichts von unserer Aktion erfährt. Aber aufgefallen sind wir trotzdem, weil das Gedenken ja an einer belebten Straße stattgefunden hat.

500 von uns haben vor dem UN-Gebäude am »World Trade Center« in Kairo demonstriert. Hedy Epstein, eine 85jährige US-Friedensaktivistin und Holocaust-Überlebende, ist dann vor dem UN-Gebäude in einen Hungerstreik getreten. Sie sagte, dass sie zeigen wolle, dass sie viele Menschen vertrete, die über das empört sind, was die USA, Israel und die europäischen Regierungen den Palästinensern antun. Hedys Engagement hat erfolgreich für Öffentlichkeit gesorgt, in der US-Presse, aber auch in deutschen Medien wurde berichtet. Neben Hedy haben auch weitere Juden aus den USA und auch aus Israel am »Gaza Freedom March« teilgenommen.

Ab dem 27. Dezember haben dann mehrere Hundert Marsch-Teilnehmer aus Frankreich den Gehweg vor der französischen Botschaft in Kairo für mehrere Tage besetzt. Auch andere Delegationen haben über ihre Botschaften versucht, Druck zu machen, damit wir nach Gaza einreisen dürfen.

Zu diesem Zeitpunkt haben erste ägyptische Zeitungen über uns berichtet. Dabei wurde auch versucht, uns als Chaoten zu diffamieren. Und die oberste islamische Instanz hat unsere Proteste als »unislamisch« dargestellt und Bau der »Eisernen Mauer« begrüßt.

Haben auch Ägypter an euren Aktionen teilgenommen oder war dazu die Repression zu groß?
Wenn ich mich richtig erinnere, war es am 29. Dezember, als wir vor dem Gebäude der Journalisten-Vereinigung protestiert haben. Da waren zum ersten Mal auch ägyptische Aktivisten dabei. Selbstverständlich war das für sie ein Risiko. Zumal es nicht bei den »Free Gaza« -Rufen geblieben ist. »Freiheit für Ägypten« und »Nieder mit Mubarak« wurde ebenfalls gerufen - und das trotz des massiven Polizeiaufgebotes. Verhaftungen hat es bei der Aktion allerdings keine gegeben. Auch das hat uns gezeigt, was trotz aller Schwierigkeiten machbar ist.

85 von euch durften dann letztlich nach Gaza einreisen...
Ja. Aber das war eine zweischneidige Sache. Sicher war das auch eine Folge des Drucks, den wir erzeugt haben. Aber es war auch ein gezielter Versuch von Mubarak, unseren Marsch zu spalten. Das Regime hat nämlich behauptet, die 85 Teilnehmerinnen und Teilnehmer seien der friedliche Teil des Marsches, während der Rest »Hooligans seien« . Das sollte Streit in unsere Reihen bringen.

In der Tat war die Mehrheit dafür, nicht zu fahren und den Protest geschlossen in Kairo fortzusetzen. Eine kleine Gruppe hingegen wollte trotzdem einreisen. Politisch finde ich diese Entscheidung falsch. Aber ich habe auch Verständnis dafür. Denn in dieser Gruppe waren Leute, die Bekannte und Verwandte in Gaza besuchen wollten, die sie lange nicht sehen konnten.

Ich bin mit der Mehrheit in Kairo geblieben, um die Proteste fortzusetzen. Dazu sind wir auch von Aktivisten in Gaza selbst ermutigt worden.

Wie konntet ihr die ganze Zeit über dem Druck standhalten?
Das Großartigste war die Solidarität unter den Teilnehmenden des Marsches und der Zuspruch durch die Bevölkerung vor Ort. Du machst eine Aktion und die Polizei riegelt ab. Aber dann fahren Autos vorbei und hupen und aus Bussen heraus winken dir Leute. Das alles gibt Kraft und macht Mut.

Und wir haben unermüdlich Öffentlichkeit geschaffen. Ich zum Beispiel habe Bekannte in Deutschland gebeten, an die deutsche Botschaft zu schreiben und für uns Druck zu machen. Andere haben Ähnliches getan. Es hat zudem in Blogs und anderweitig eine Live-Berichterstattung gegeben, es wurde getwittert, über soziale Netzwerke im Internet Informationen verbreitet und so weiter. Wir haben alle Kommunikationsmittel und -kanäle genutzt, um auf unser Engagement aufmerksam zu machen. Und das hat funktioniert.

Der letzte Tag im Jahr war der Tag des Gaza-Marsches selbst. Wie hast du den erlebt?
Wir sind in kleinen Gruppen zum Tahir-Square gezogen. Das ist ein sehr belebter Platz in der Kairoer Innenstadt. Dort sind wir - wiederum ähnlich einem Flashmob - zusammengekommen
und haben mit 500 Leuten eine Spontandemo gemacht. Wir haben versucht, den Verkehr zu stoppen und die Menschen zu informieren. Allerdings hat ein Polizeiaufgebot die Straße vehement geräumt und uns auf dem Bürgersteig eingekesselt, um uns - auch optisch - von der Bevölkerung abzuschirmen. Wir haben aber Plakate hochgehalten und Banner auf einem Baum aufgehangen, um sichtbar zu bleiben. Der Platz war auch zu belebt, als dass es möglich gewesen wäre, uns »unsichtbar« zu machen. Autofahrer haben gehupt, um ihre Solidarität mit uns auszudrücken und Leute in Bussen haben Victory-Zeichen gemacht.

Silvester haben wir ebenfalls am Tahir-Square gefeiert. Mit einer Kerzen-Mahnwache, an der etwa 400 Menschen teilgenommen haben. Wir haben in Gaza angerufen, Grüße und Berichte ausgetauscht, gesungen und Musik gemacht. Auch hier war die Polizei vor Ort, dieses Mal aber haben sie uns nicht eingekesselt. Vermutlich, weil wir nicht demonstriert, sondern »nur« gefeiert haben.

Auch danach hat es noch Aktionen gegeben. Ich selbst war bis zum Tag meiner Abreise am Montag dieser Woche tätig. Zum Beispiel hat ein bekannter ägyptischer Rechtsanwalt gegen den Bau der »Eisernen Mauer« geklagt und wir haben einen Protest ägyptischer Aktivisten vor dem Gerichtsgebäude unterstützt.

Mit 13 Leuten aus Deutschland haben wir außerdem die Redaktion der großen Kairoer Tageszeitung »Al-Masry Al-Youm« besucht. Das war eine spontane Sache die mit dem Blatt nicht verabredet war. Dennoch hat uns ein Redakteur interviewt und gesagt, er wolle daraus eine ganze Seite machen. Ich weiß nicht, ob das geklappt hat. Aber Schlagzeilen hatten wir zu dem Zeitpunkt ja bereits gemacht.

Wie soll es weitergehen?
Zunächst einmal hat der Marsch uns alle in unserem Engagement bestärkt und beflügelt. Ich denke, dass ich auch für die anderen spreche, wenn ich sage, dass wir alle nicht damit gerechnet haben, dass wir angesichts der Repression überhaupt so erfolgreich protestieren konnten. Durch den Marsch sind neue Verbindungen unter Aktivisten über Grenzen hinweg entstanden.

Darüber hinaus haben wir beschlossen, am 16. und 17. Januar international vor israelischen Botschaften für unsere Forderungen zu protestieren. Im März finden außerdem die »Israeli Apartheid Week« statt.

Die Delegation aus Südafrika hatte eine »Kairo-Erklärung« vorbereitet, die vom »Gaza Freedom March« angenommen worden ist. Wer sie unterschreiben möchte, kann das via E-Mail an cairodec [ät] gmail.com tun.

(Das Gespräch hat Pickelhering für das Magazin marx21 geführt)

Zur Person:
Marco Görlach ist Schichtarbeiter, Gewerkschafter und Mitglied im Kreisvorstand der LINKEN im Saale-Orla-Kreis. Außerdem aktiv mit der Pößnecker Jugendgruppe re[d]solution

Mehr im Internet:
Material:
Aktueller Hintergrund:
  • Die eiserne Mauer -
    Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery über den »Gaza Freedom March« und die Verstrickungen Ägyptens mit der israelischen Besatzungspolitik in Palästina.
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